Kabbala und der Sinn des Lebens - Michael Laitmans persönlicher Blog

Über jüdische Einheit und Antisemitismus – Artikel Nr. 6 – Israels goldenes Zeitalter

Nach ihrer Befreiung aus der Sklaverei in Babylon, nachdem König Kyros sie mit „Silber und Gold, mit Gütern und Vieh, sowie mit einer freimütigen Opfergabe für das Haus Gottes, das sich in Jerusalem befindet“ (Esra 1,4) freigelassen hatte, kehrten die Auswanderer, genauer gesagt zwei der zwölf Stämme Israels, in das Land Israel und nach Jerusalem zurück und erbauten den Zweiten Tempel. Die Geschichte unseres Volkes ist von Leid gezeichnet. Die Zeit allerdings zwischen dem Erlass des Kyros, 539 v. Chr., und dem Beginn des Hasmonäeraufstandes, 166 v. Chr., war eine relativ ruhige und von einer großen Leistung geprägte Periode: ein Vorbild der Einheit für die Völker – wenn auch nur kurz – zu sein.

Nicht, dass es zu dieser Zeit keinen Zwist unter den Juden gegeben hätte. Da es um den Wiederaufbau des Tempels ging, gab es viel zu streiten. Der Tempel wurde schließlich wieder aufgebaut und es kehrte Ruhe ein, so oder so. In der Tat könnten einige dieser Jahre sogar als das goldene Zeitalter des Volkes Israel angesehen werden.

Hinsichtlich des physischen Lebens ist nicht viel über das Leben des Volkes Israel im Lande Israel während des dritten und vierten Jahrhunderts v. Chr. bekannt. Der renommierte Historiker Paul Johnson schreibt in seinem Buch „A History of the Jews“ über jene friedliche Zeit unserer Geschichte, in der es nichts zu berichten gab: „Die Jahre 400-200 v. Chr. sind die sogenannten verlorenen Jahrhunderte der jüdischen Geschichte. Es gab keine großen Ereignisse oder Schicksalsschläge, über die es zu berichten gäbe. Sie waren wohl glücklich“, schlussfolgert er.

Auf gesellschaftlicher und spiritueller Ebene ereignete sich jedoch eine Menge. Dreimal im Jahr zogen die Juden nach Jerusalem hinauf, um die Wallfahrtsfeste zu feiern: Pessach, Schawuot (Wochenfest) und Sukkot. Bei jeder Wallfahrt war der Anblick spektakulär. Die Wallfahrten dienten in erster Linie dazu, die Herzen des Volkes zu versammeln und zu vereinen. In seinem Buch Die Altertümer der Juden schreibt Flavius Josephus, dass die Pilger „die Bekanntschaft … aufrechterhielten, indem sie sich miteinander unterhielten, einander sahen und miteinander sprachen und so die Erinnerungen an diese Vereinigung erneuerten.“

Einmal in Jerusalem angekommen, wurden die Pilger mit offenen Armen empfangen. Die Stadtbewohner empfingen sie in ihren Häusern und behandelten sie wie eine Familie, und es gab immer Platz für alle.

Die Mischna berichtet von dieser außergewöhnlichen Zusammengehörigkeit: “ All die Männer Jerusalems würden vor ihnen stehen und sich nach ihrem Wohlergehen erkundigen: ‚Unsere Brüder, Männer aus diesem und jenem Ort, seid ihr in Frieden gekommen?‘ und die Flöte würde vor ihnen erklingen, bis sie am Tempelberg ankämen.“ Zudem wurden alle materiellen Bedürfnisse der Menschen, die nach Jerusalem kamen, in vollem Umfang erfüllt. “ Niemand sagte zu seinem Freund: ‚Ich fand keinen Feuerofen in Jerusalem, auf dem ich Opfergaben braten hätte können‘ … oder ‚Ich fand kein Nachtlager in Jerusalem‘,“ liest man im Buch Avot von Rabbi Natan.

Mehr noch, die Einigkeit und Wärme unter den Hebräern strahlte nach außen und wurde zum Vorbild für die benachbarten Völker. Der Philosoph Philo von Alexandria schilderte die Wallfahrt als ein Fest: „Tausende Menschen aus tausenden Städten – manche zu Land und manche zu See, aus dem Osten und Westen, dem Norden und Süden – würden zu jedem dieser Feste zum Tempel kommen, wie zu einer gemeinsamen Zuflucht, einem sicheren Hafen, der vor den Stürmen des Lebens geschützt ist. …Mit Herzen, voller guter Hoffnungen, würden sie diesen unverzichtbaren Festtag mit Heiligkeit und zur Ehre Gottes begehen. Auch schlossen sie Freundschaften mit Menschen, denen sie vorher noch nie begegnet waren, und in der Verschmelzung der Herzen … würden sie den ultimativen Beweis der Einheit finden.“
Philo war nicht der Einzige, der bewunderte, was er sah. Diese Feste der Verbundenheit dienten Israel dazu, zum ersten Mal, seit ihnen diese Berufung gegeben wurde, „ein Licht für die Völker zu sein.“ Das Buch Sifrey Devarim beschreibt detailliert, wie Heiden „nach Jerusalem hinaufgingen und Israel sahen … und sagten: ‚Es ziemt sich, nur diesem Volk anzuhaften.'“

Etwa drei Jahrhunderte später beschreibt das Buch Sohar (Acharej Mot) kurz und klar den Prozess, den Israel durchlief: „‚Seht, wie gut und wie angenehm es ist, wenn Brüder auch zusammensitzen.‘ Das sind die Freunde, wie sie zusammensitzen und nicht voneinander getrennt sind. Zuerst scheinen sie wie Menschen im Krieg zu sein, die sich gegenseitig umbringen wollen … dann kehren sie zurück, um in brüderlicher Liebe zu sein. … Und ihr, die Freunde, die ihr hier seid, so wie ihr vorher in Zuneigung und Liebe beieinander saßet, so werdet auch ihr euch von nun an nicht mehr voneinander trennen … und durch euren Verdienst wird es Frieden in der Welt geben.“ In der Tat hätte es nicht offensichtlicher sein können, „ein Licht für die Völker“ zu sein, als zu diesem Zeitpunkt.

Tatsächlich ging der Ruhm der Juden zu dieser Zeit so weit, dass er die Verbreitung ihres Gesetzes außerhalb Israels einleitete. Mitte der 240er Jahre v. Chr. hatte sich der Ruf über Israels Weisheit weit herumgesprochen. Ptolemäus II., König von Ägypten, hatte eine Leidenschaft für Bücher. Deshalb strebte er danach, alle Bücher der Welt zu besitzen, besonders jene, die Weisheit enthielten. Laut Flavius teilte Ptolemaios seinem Bibliothekar Demetrius mit, dass er „informiert worden sei, dass es bei den Juden zahlreiche Gesetzesbücher gäbe, deren Anforderung lohnenswert und der Bibliothek des Königs würdig wären.“ Nicht nur, dass Ptolemaios diese Bücher nicht besaß, könnte er, selbst wenn er sie besäße, diese nicht lesen, da sie „in hebräischen Schriftzeichen und deren eigenem Dialekt geschrieben waren, [was] nicht gerade einfach ins Griechische, der Sprache der Ptolemäer, zu übersetzen gewesen wäre“. Aber Ptolemäus gab nicht auf. Er schrieb an den Hohepriester in Jerusalem, Eleazar, und bat ihn, ihm Männer zu schicken, die die jüdischen Bücher ins Griechische übersetzen könnten. Siebzig Männer wurden auf Ptolemäus‘ Bitte hin nach Ägypten entsandt. Aber der König schickte sie nicht sofort an die Arbeit. Zuerst wollte er ihre Weisheit kennen lernen und jegliches Wissen, das er von ihnen bekommen konnte, in sich aufsaugen. Deshalb „stellte er jedem von ihnen eine philosophische Frage“, die „eher politische Fragen und Antworten waren, welche der guten … Regierung der Menschheit dienten“, schreibt Flavius. Zwölf Tage lang saßen die hebräischen Weisen vor dem König von Ägypten und lehrten ihn das Regieren entsprechend ihren Gesetzen. Neben Ptolemäus saß sein Philosoph Menedemus, der voller Ehrfurcht darüber war, wie „eine solche Kraft der Schönheit in den Worten dieser Männer enthüllt wurde.“ Dies war in der Tat die Blütezeit Israels.

„Als sie schließlich alle Probleme zu jedem Punkt, die durch den König vorgebracht worden waren, erläutert hatten, war er mit ihren Antworten sehr zufrieden.“ Ptolemäus sagte, dass „er durch ihr Kommen sehr große Vorteile gewonnen hatte, da er durch sie in den Genuss kam, zu erfahren, wie er seine Untertanen regieren sollte.“

Nachdem Ptolemäus mit den Antworten, die sie ihm gegeben hatten, zufrieden war, schickte er sie an einen abgelegenen Ort, an dem sie Ruhe und Frieden hatten und sich auf die Übersetzung konzentrieren konnten. Als sie ihre Aufgabe beendet hatten, schreibt Flavius, übergaben sie dem König die vollständige Übersetzung des Pentateuch. Ptolemäus war „entzückt, als er die Gesetze vorgetragen bekam, und war erstaunt über den tiefen Sinn und die Weisheit des Gesetzgebers.“

Der Historiker Paul Johnson, den wir bereits erwähnt haben, schrieb über die Juden in der Antike: „In einem sehr frühen Stadium ihrer kollektiven Existenz glaubten sie, einen göttlichen Plan für die menschliche Rasse entdeckt zu haben, für den ihre eigene Gesellschaft ein Pilot sein sollte.“ Möglicherweise ist das unseren Vorfahren im dritten Jahrhundert v. Chr. gelungen. Wie wir jedoch aus der Geschichte wissen, war unsere Brüderlichkeit nicht von Dauer, und weniger als ein Jahrhundert nach diesen wundersamen Ereignissen wurde Israel in einen blutigen Bürgerkrieg verwickelt. Dies wird das Thema des nächsten Beitrages sein.

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