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Über jüdische Einheit und Antisemitismus – Artikel Nr. 7 – Vom Verfall zur Revolte

Im vorigen Artikel haben wir das beschrieben, was man als das goldene Zeitalter der Juden bezeichnen könnte, das 4. und 3. Jahrhundert v. u. Z., als relative Einheit und Ruhe herrschten und dreimal im Jahr Menschen aus den Nationen der Welt nach Jerusalem kamen, um sich während der Pilgerfahrten von Einheit und Brüderlichkeit inspirieren zu lassen und zu sagen: „Es wird Zeit, sich nur an diese Nation anzuhaften.“ Wir haben auch darüber berichtet, dass dies die Zeit war, in der Ptolemäus II., König von Ägypten, die jüdische Weisheit erlernen wollte, und deshalb siebzig Weise aus Jerusalem einlud, die ihn das jüdische Gesetz lehren und die Fünf Bücher Mose ins Griechische übersetzen sollten, damit er sie verstehen konnte. Ptolemäus war so angetan von dem, was er gelernt hatte, dass er den Weisen versicherte, nunmehr verstanden zu haben, wie er seine Untertanen regieren solle.

König Ptolemäus wollte auch weiterhin von den Juden lernen und bat den Hohepriester in Jerusalem, Elazar, um Zustimmung, dass – wann immer er Fragen bezüglich des Regierens oder der jüdischen Weisheit hatte – ein oder zwei von ihnen kommen könnten. Bedauerlicherweise ging dieser Wunsch nie in Erfüllung. Jedoch nicht wegen Ptolemäus, sondern eher, weil sich die Juden selbst verändert hatten.

Die Einzigartigkeit des jüdischen Systems liegt nicht in der Tatsache, dass Juden Übermenschen sind und ihr Ego besiegen können. So etwas gibt es nicht. Vielmehr liegt die Einzigartigkeit des wahren, authentischen Judentums in der Erkenntnis, dass die menschliche Natur egoistisch ist und sich dennoch darüber erhebt, wie König Salomo sagte: „Hass schürt Zwietracht, und Liebe wird alle Vergehen bedecken“ (Spr 10,12).

Als die Juden sich in ihrer Blütezeit befanden, stieg ihr Ego so sehr an, dass sie es nicht mehr überwinden konnten. Deshalb begannen viele von ihnen, den Weg der Einheit, den Weg ihrer Väter, zu meiden und sich den Kulturen ihrer angrenzenden Länder, besonders dem Hellenismus, zuzuwenden. Die hellenistische Kultur mit ihren Sportstätten, Amphitheatern, großen Statuen und beeindruckender Architektur schien ansprechender zu sein als das Judentum, das von jedem Einzelnen verlangte sich anzustrengen, seine Mitmenschen zu lieben. Im Gegensatz zur Nächstenliebe verherrlichten die Griechen das Selbst, das Individuum, und hatten Gottheiten, die mehr menschliche als göttliche Züge hatten, was die wachsende Selbstbezogenheit der Menschen ansprach.

Das Ergebnis dieses geistigen Niedergangs führte dazu, dass, nicht die anderen Völker von den Juden etwas über Brüderlichkeit lernten, sondern die Juden die Griechen einluden die hellenistische Kultur in das Land Israel einzuführen, wodurch das Volk zunehmend gespalten wurde.

Im Jahr 175 v. Chr. verstarb Seleukos IV. Philopator, Herrscher des hellenistischen Seleukidenreiches. Als Herrscher über das Land Israel gewährte er den Juden völlige Freiheit in ihrer Religionsausübung. Sein Nachfolger Antiochus IV. Epiphanes hatte zunächst nicht die Absicht, den Status quo in Judäa zu ändern, oder sich in die Freiheit der Juden hinsichtlich ihrer Religionsausübung einzumischen, aber einige Juden hatten andere Pläne, und von hier an ging es schnell bergab.

Als Epiphanes an die Macht kam, waren die Städte Sichem, Marissa, Philadelphia (Amman) und Gamal bereits hellenisiert. „Ein Ring solcher Städte, in denen es von Griechen und Halbgriechen wimmelte, umgab das jüdische Samaria und Juda, die als gebirgig, ländlich und rückständig angesehen wurden … antike Überlebende, Unzeitgemäße, die bald von der unwiderstehlichen modernen Flut hellenischer Ideen und Institutionen hinweggefegt werden sollten“, schreibt Paul Johnson im Buch „A History of the Jews“.

Als die Juden sahen, was um sie herum geschah, gründeten sie das, was Johnson eine „jüdische Reformpartei, die das Tempo der Hellenisierung vorantreiben wollte“ nennt. So wie die zeitgenössische Reformbewegung, die in Deutschland ihren Anfang nahm, danach strebte, das Judentum von jüdischen Bräuchen zu befreien oder sie zumindest abzuschwächen und den Fokus auf seine Ethik zu legen, strebten ihre Vorfahren danach, es „auf seinen ethischen Kern zu reduzieren“, schreibt er.
Um die Hellenisierung Judäas zu beschleunigen, schloss sich der Anführer der ursprünglichen Reformbewegung, Jason [hebräisch: Yason], dessen Ziele und Vorgehensweise dem heutigen Reformjudentum nicht unähnlich waren, mit König Antiochus Epiphanes zusammen. Dieser war „bestrebt, die Hellenisierung seines Herrschaftsgebiets zu beschleunigen, … weil er sich davon höhere Steuereinnahmen versprach, da er chronisch zu wenig Geld für seine Kriege hatte“, so Johnson. Jason zahlte Epiphanes eine stattliche Summe Geld, und im Gegenzug verdrängte dieser den amtierenden Hohepriester in Jerusalem, Onias III, und übergab Jason dessen Amt. Dieser verschwendete keine Zeit. Er verwandelte Jerusalem in eine Metropole, benannte sie in Antiochia um und errichtete am Fuße des Tempelbergs eine Sportstätte. Genauso, wie auch die Reformbewegung in Deutschland, die, sobald sie die Emanzipation in den frühen 1870 Jahren erhalten hatte , strebten die Reformer in der Antike danach, das Judentum an die Moderne anzupassen und gaben es schließlich ganz auf. Sie verwarfen antike jüdische Bräuche, die sich auf den Tempel bezogen, und hörten auf, männliche Säuglinge zu beschneiden. In den Worten von Flavius Josephus: „Sie ließen alle Bräuche, die zu ihrem eigenen Land gehörten, weg und ahmten die Praktiken der anderen Nationen nach.“
Ironischerweise machte Menelaos im Jahr 170 v. Chr. mit Jason genau das, was er mit Onias III. vor ihm gemacht hatte: Er zahlte Antiochus Epiphanes eine beträchtliche Geldsumme, der ihn im Gegenzug zum Hohepriester in Jerusalem salbte.
Aber viel schlimmer als die Aufgabe ihrer Bräuche war, dass die Juden, als sie zu Hellenisten wurden, auch ihre Einheit aufgaben. Selbst unter den Hellenisten brachen Kämpfe zwischen Anhängern Jasons und Anhängern des Menelaos aus. Der Rest des Volkes, der es vorzog, den jüdischen Geist beizubehalten, der ihnen so viel Respekt von Ptolemäus eingebracht hatte, wollte keinen der beiden Führer und wurde zunehmend rebellisch.
Interessanterweise war Epiphanes selbst nicht daran interessiert, das Judentum auszulöschen. In der Tat war es höchst ungewöhnlich für eine griechische Regierung, andere Glaubensrichtungen mit Füßen zu treten. Johnson meint: „Die Beweise deuten darauf hin, dass die Initiative von den extremen jüdischen Reformern unter der Führung von Menelaos ausging.“

Als jedoch im Jahr 167 v. Chr. die Hellenisten versuchten, ein Götzenbild im Tempel von Modi’in – indem Matityahu der Hasmonäer Priester war – wendete sich das Blatt gegen sie. Matityahu der Hasmonäer, war wohlbekannt, geachtet und sehr unnachgiebig in seiner Frömmigkeit. Die Hellenisten „zwangen die Juden das zu tun, was ihnen aufgetragen worden war, und forderten die dort Anwesenden auf, Opfer [an Götzen] darzubringen. Sie verlangten, dass Matityahu, als Person von höchstem Charakter … mit dem Opfer beginnen sollte, weil [so glaubten sie] seine Mitbürger seinem Beispiel folgen würden“, schreibt Josephus. „Matityahu ließ indes verlauten, dass er dies nicht tun würde, und dass, wenn alle anderen Völker den Befehlen des Antiochus gehorchen würden, … weder er noch seine Söhne den religiösen Kult ihres Landes verlassen würden.“ Als ein anderer Jude vortrat, um anstelle von Matityahu das Opfer zu erbringen, „stürzte sich der wütende Priester mit seinen Söhnen, die Schwerter bei sich trugen, auf [den Juden] und erschlug sowohl den Opfernden als auch Apelles, den General des Königs, der sie zum Opfern gezwungen hatte, mit einigen seiner Soldaten.“

Schon bald schlossen sich Tausende von Juden – frustriert über die erzwungene Bekehrung zum Hellenismus, die ihnen der Hohepriester selbst auferlegte hatte – Matityahu an und zogen in die Berge der Wüste Juda. Matityahu ernannte seinen dritten Sohn, Juda Makkabäus, zum Befehlshaber der neu aufgestellten Truppen, und von der Wüste aus führten sie den glanzvollen Guerilla-Feldzug, den wir heute als den Hasmonäer Aufstand oder Makkabäeraufstand kennen.

Dieser richtete sich nicht gegen die seleukidische Armee oder eine der benachbarten Armeen. Er richtete sich gegen die hellenisierten Juden und zielte darauf ab, sie einzuschüchtern und zum Judentum zurück zu zwingen. Da die Hellenisten aber die Unterstützung der seleukidischen Regierung hatten, wandten sie sich an Antiochus und baten um seine militärische Unterstützung.

Nach einem Jahr des Aufstandes starb Matityahu. Vor seinem Tod versammelte er seine Söhne und wies sie an, wie sie den Kampf fortsetzen sollten. Vor allem aber befahl er ihnen, ihre Einheit nach dem alten jüdischen Gesetz zu wahren: „Ich ermahne euch vor allem, einer mit dem anderen überein zukommen, und worin einer den anderen auch übertreffen mag, er soll sich vor dem anderen beugen und auf diese Weise den Nutzen der Tugenden eines jeden erlangen.“, schreibt Josephus.

Es ist dieser Geist der Einigkeit und des Einbringens der Stärken eines jeden in das Gemeinwohl, der den Makkabäern ihren glanzvollen Sieg über die weitaus größeren, besser ausgerüsteten und besser ausgebildeten Armeen des Seleukidenreiches bescherte. Nach drei Jahren des Aufstandes war Juda stark genug, um auf Jerusalem zu marschieren und es von den Seleukiden zurückzuerobern. Dann, 164 v. Chr., war der Hohepriester Menelaos schließlich gezwungen, Zuflucht zu suchen.

Doch die Rückeroberung Jerusalems und die Wiederaufnahme des Gottesdienstes im Tempel beendeten den Krieg nicht. Die Juden mussten nicht nur gegen die Seleukiden außerhalb der Mauern, sondern auch mit Schwierigkeiten in ihren eigenen Reihen kämpfen. „Während der ganzen Zeit der Verfolgung und der Revolte“, schreibt der Historiker Lawrence H. Schiffman, „hatten sich die hellenistischen Heiden im Land Israel auf die Seite der Seleukiden geschlagen und sich an den Verfolgungen beteiligt. Daher war es nur natürlich, dass Juda sich nun gegen diese Feinde wandte, ebenso wie gegen die hellenisierenden Juden, die die schrecklichen Verfolgungen ausgelöst hatten. Die Hellenisierer, viele von ihnen von aristokratischer Herkunft, hatten auf der Seite der Seleukiden gegen Juda gekämpft.

Nachdem Epiphanes 164 v. Chr. gestorben war, kam sein Sohn Antiochus V. Eupator an die Macht. Nachdem sie Jerusalem lange belagert und fast ausgehungert hatten, sahen sich die Seleukiden plötzlich von Persien bedroht. Dem König blieb keine andere Wahl als den belagerten Jerusalemern den Frieden anzubieten und versprach ihnen Religionsfreiheit und Selbstverwaltung. Die Makkabäer nahmen das Angebot bereitwillig an und die Seleukiden zogen sich schnell zurück, um mit den vorrückenden Persern fertig zu werden. Sie nahmen jedoch den nun abgesetzten Hohepriester Menelaos mit sich, denn „dieser Mann war der Ursprung all des Unheils, das die Juden ihnen angetan hatten, nachdem er seinen Vater dazu überredet hatte, die Juden dazu zu zwingen, die Religion ihrer Väter zu verlassen“, schlussfolgert Josephus. In weiterer Folge stellte Antiochus V. Eupator die Zustimmung zur Religionsfreiheit wieder her, die sein Urgroßvater, Antiochus III. der Große, mit den Juden gehabt hatte, und besiegelte den Aufstand der Hasmonäer endgültig, als er Menelaos hinrichten ließ.