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Das Zelt unter den Sternen

Wofür braucht das Volk Israel ein Zelt, wo man die Sterne durch das Dach umherziehen sieht?

Lasst uns einen Spaziergang machen.

Abends, bei Sonnenuntergang, gehen wir in den Garten hinaus unter das Dach des Festzeltes. Die israelische Dämmerung ist kurz, kaum hast du dich hingesetzt und schon ist alles mit dem verschwommenen Licht der Laternen umhüllt.

Was, wenn das ein ungewöhnlicher Abend ist, wenn uns der Feiertag Sukkot eine Botschaft sendet? Aber damit wir diese Botschaft hören, sollte man aus seiner gewöhnlichen  Umgebung austreten; aus unserem Alltag, aus den abgedroschenen Wahrheiten, aus allem, was uns klar ist wie ein Tag, wie ein vergangener Tag.

Es ist die Zeit um umzusiedeln; den Gesichtspunkt zu wechseln, sich kurz nach hinten umzuwenden und nach vorne zu blicken. Unser gewohntes Haus, in welchem wir leben, die Welt anders anzuschauen.

Das ist eine sehr nützliche Übung, da unser „angestaubtes“ Auge leicht das Wichtigste aus seinem Blick verliert. Manchmal ist es einfach nötig, für eine gewisse Zeit aus seinem gewohnten Haus auszuziehen, um sich für Neues zu öffnen.

Sobald wir aus den Betonwänden der Dogmen herauskommen, befinden wir uns auf einem freien Gebiet und die Welt kommt uns leuchtender und vollkommener vor.

Wie geht es dir, der Welt?

Für die Welt war das vergangene Jahr nicht so toll. Man hat sich  zerstritten, gekämpft, sich gegenseitig mit allerlei Sünden beschuldigt. Man ist in Argwohn versunken, in übler Nachrede.

Europa fiebert seit einigen Jahren vor Aufregung. In Frankreich gab es nach den Wahlen  Massenkundgebungen wegen der Verschärfung des Arbeitsrechtes. England verlässt knarrend die EU. Die Katalanen verlangen unbändig die Unabhängigkeit. Das Problem der Flüchtlinge ist nicht gelöst, sie werden aber trotzdem weiter aufgenommen.  

Inzwischen wurde die Atlantikküste unter den Schlägen der Natur stark erschüttert und auch Mexico hat es erreicht. 

Amerika ist in Hass zerteilt. Die dritte Welt steht vor einer neuen Hungersnot. Im Osten ist ein altes Geschwür sichtbar geworden; die Nordkoreaner mit ihren Raketen und nuklearen Ambitionen…

Und was ist bei uns? Der Feiertag Sukkot! Und bei uns ist alles ruhig. Die großen Leiden gehen an uns vorbei, die Feinde kämpfen miteinander.

Wir sind wie die Hamster im Hamsterrad, aber wir sind glücklich. Unsere Ökonomie ist in der Konkurrenzfähigkeit unter den ersten 20 Ländern der Welt. Wir leben, arbeiten, fliegen in den Urlaub. Es gibt natürlich gewisse Probleme, aber ohne sie ist es doch kein Leben.

Das Endresultat ist positiv. Heißt das, dass wir mit reinem Gewissen aus der Sukka nach Hause kehren können?

Man könnte natürlich zurückkehren, aber es gibt einen Haken in diesem modernen globalen Blackout. Denkt euch hinein. Über die ganze Welt geht ein Sturm und bei uns ist Windstille. Kriege, Konflikte, Terroranschläge, Hurrikans, der Kampf der Kulturen, ideologische Kämpfe, Kämpfe auf den Straßen der Städte; und das ruhige Israel, wo die lautesten Nachrichten keine zwei Tage überleben.

Früher war es eigentlich umgekehrt. Früher hat es uns erschüttert und alle anderen haben auf uns Druck, den uns die „weisen“ Ratgeber gegeben haben, ausgeübt.

Wie ist das passiert? Wie sind wir zu diesem auffälligen Wohlergehen gekommen? Wäre es möglich, dass dies eine Falle ist?

Wir sind verantwortlich

„Die Weisen sagten: alle Katastrophen kommen nur in die Welt wegen Israel. Mit anderen Worten, Israel ruft die Kargheit, die Brutalität, den Raub und die Morde in der ganzen Welt hervor“. Baal HaSulam „Vorwort zum Buch Sohar“ Punkt 71

Ich weiß, das klingt auffallend. Man hat den Eindruck, dass unsere Weisen übertreiben oder zu viel auf sich nehmen. Wir brauchen diese Moralpredigten und diese Verantwortung nicht. Wir möchten einfach wie alle anderen sein.

Was können wir tun, wenn uns aber genau das nicht gegeben ist; wie alle zu sein. Unsere ganze Geschichte und die Welt sind damit nicht einverstanden. Daran erinnern uns die herbstlichen Feiertage, die mit dem Anfang des Jahres verbunden sind, mit dem Anfang der neuen Umkreisung.

Die jüdischen Feiertage sind keine Kalenderdaten, sondern Entscheidungen, welche wir treffen sollen, Entscheidungen, die unsere Weltanschauung umkreisen.

Das Neujahr (Rosh HaShana) ist die erste Entscheidung; zum „Kopf“ zu werden, also die Verantwortung auf sich zu nehmen,  von den Marotten der anderen und von den eigenen Marotten nicht geleitet zu werden. Wir tauchen keine Äpfel in den Honig, sondern wir tauchen uns selber in das Streben nach Verbindung, zum gegenseitigen Verständnis.

Danach, während der zehn Tage der Reue (asara jamej tschuwa) bereuen wir, aber was? Das wir die Möglichkeit, ein Volk zu sein und der Welt zu helfen, das Zerbrechen zu überwinden, nicht genutzt haben.

Danach kommt der Tag des Gerichtes; eine klarere Konsequenz, die keine Bestrafung mit sich bringt, sondern die Korrektur.

Jetzt sind wir für den „Umzug“ bereit; den Austausch der Prioritäten. Wir sind bereit, den Wert der Konsolidierung zu übernehmen und ihn „zum Dach unseres Zeltes zu machen“.

Es ist unglaublich; das, was unwichtig erschien, als abgefallen, abgetrennt erschien, Fürsorge für die anderen, gesunde Verhältnisse in der Gesellschaft, wird jetzt als das Wichtigste, als das Ausschlaggebendste bewertet. Alles, was geringgeschätzt wurde, erhält plötzlich einen Sinn und die dazugehörige Kraft.

Genau darüber spricht der Feiertag Sukkot. Unter dem Schatten des Zeltes zu sein bedeutet unter der Fahne der Einheit, der Empathie, nach dem Gesetzt des Gebens, unter dem Schutz der Liebe zu sein.

Ohne Liebe leidet die Welt. Und wir tragen die Schuld daran; die zu sein, die wir sind.

Die Menschen kehren zurück nach Hause. Im Zelt ist es ruhig und still. Die Sterne scheinen durch das Zeltdach.

Das ist gut. Das bedeutet, dass wir nicht begrenzt sind, nicht verschlossen (jeder in seiner Welt). Zwischen uns existieren keine Wände, nur die leichten Baldachine. Der Egoismus kränkt uns nicht, diktiert nicht seine „unumstößlichen“ Postulate. Wir sind frei von ihm und wir nehmen diese Freiheit mit, wenn wir in unsere ständige Bleibe zurückkehren.

Jetzt verstehen wir, dass ohne uns die Welt leiden wird, ohne unserer Entscheidung, die zu sein, die wir von unserer Berufung her sind. Wir sind das wichtigste Glied in dem gemeinsamen System. Durch uns wird das Gesetz der Natur ausgelöst. Und die Natur führt zur Einigung.

Deswegen heißen wir „Israel“, was bedeutet „direkt zum Schöpfer“, zur nächsten Stufe der Entwicklung. Dank uns entspannen sich die Menschen, erheben sich über unser gegenseitiges Desinteresse, die Aberkennung, über alles was uns trennt. Die Menschen lernen sich anzunähern, Anteilnahme zu üben, sie lernen zusammen sich selbst zu realisieren und einen Genuss vom Leben zu haben.

Mit anderen Worten sind wir der Teil, welcher für alle den Aufstieg sichert. Der sogenannte spirituelle Emporheber, der alle zur guten Koexistenz auf dem Planeten erhebt.

Wenn wir diese Rolle erfüllen, erblüht die Welt. Wenn wir sie ablehnen, versinkt die Welt in Leiden und Brutalität… und letztendlich reagiert sie mit ihrem Zorn auf uns.

Das hängt nicht von der Welt ab. Wir sind dafür verantwortlich. Sobald wir endlich nach außen treten, in unser Zelt der Liebe, werden sie sich mit uns zusammensetzen und wir werden zusammen dieses Zelt über die ganze Welt aufspannen.

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