Kabbala und der Sinn des Lebens - Michael Laitmans persönlicher Blog

Was uns Jona über den Antisemitismus lehrt

18.10.2016, huffingtonpost.de

Genauso wie die Spaltung unter uns der Menschheit Spaltung bringt, so wird die Einheit unter uns den Rest der Welt zur Verbindung inspirieren.

Vor ziemlich genau zwei Jahren veröffentliche ich in der Druckausgabe der New York Times einen Artikel mit dem Titel „Was wir Juden der Welt schulden.“ In diesem Jahr, kurz nach Jom Kippur (Tag der Sühne), möchte ich diesen Artikel gerne mit den Lesern der Huffington Post teilen, da ich denke, dass dessen Botschaft eine größere Wirkung auf die Zukunft unseres Volkes haben wird.

Unseren Weg zum Himmel erkaufen

Der heiligste Tag des Jahres für Juden ist Jom Kippur, an dem wir fasten und beten. Ein Kernstück des Gebets ist das Lesen des Buches über den Propheten Jona. Interessanterweise glauben viele praktizierende Juden, dass der Kauf des Privilegs, das Buch in der Synagoge zu lesen, sie für den Rest des Jahres erfolgreich machen wird.

Selbstverständlich können es sich nur die Vermögendsten in der Gemeinde leisten, darum zu konkurrieren. Die Summen variieren entsprechend dem Wohlstand in der Gemeinde, und in manchen Fällen wird das Privileg für gut mehr als eine halbe Million US-Dollar verkauft.

Den Code knacken

Der wahre Grund dafür, warum das Buch Jona so wichtig ist, ist den Menschen allerdings nicht bewusst. Kabbalisten haben bestimmt, dass diese Lektüre die Wichtigste im Jahr ist, da dieses Buch den Code für die Rettung der Menschheit detailliert beschreibt.

Jonas Geschichte ist etwas Besonderes, weil sie von einem Propheten handelt, der versuchte, seiner Aufgabe auszuweichen, es jedoch letztendlich bereute. Ein weiterer besonderer Aspekt der Geschichte von Jona ist, dass seine Aufgabe nicht etwa darin bestand, das Volk Israel zu warnen, sondern die Stadt Ninive zu retten, deren Bewohner nicht jüdisch waren. Angesichts des heutigen unsicheren Zustandes der Welt sollten wir uns die Geschichte und deren Bedeutung für jeden von uns genauer anschauen.

Sich zusammenreißen oder verschwinden

In der Erzählung weist Gott Jona an, den Bewohnern von Ninive, welche sehr gemein zueinander geworden waren, zu sagen, dass sie ihre Beziehungen miteinander korrigieren sollen, falls sie überleben wollen. Allerdings hat Jona sich seiner Aufgabe entzogen und stach in See in dem Bemühen, der Anweisung Gottes zu entfliehen.

Wie Jona haben wir Juden unsere Aufgabe in den vergangenen 2000 Jahren unbeabsichtigt gemieden. Doch nun können wir es uns nicht mehr leisten, ihr weiterhin zu entfliehen. Wir haben eine Aufgabe, die an uns überliefert wurde, als Moses uns zu einem Volk vereinigte, dessen Fundament der Grundsatz der Nächstenliebe bildete. Es ist unsere Verpflichtung, dem Rest der Welt ein Beispiel der Einheit zu geben. Unsere Vorfahren, Abraham und Moses, wollten die ganze Menschheit miteinander verbinden. Damals war die Welt allerdings noch nicht bereit dazu. (Mehr dazu in meinem Artikel „Warum Menschen Juden hassen“)

Diese Gruppe, d. h. das Volk Israel, muss immer noch zu einem Vorbild für die Welt werden. Rav Kook, der erste Oberrabbiner Israels, formulierte es im poetischen Stil in seinem Buch Orot Kodesh („Heilige Lichter“): „Da wir und die Welt gemeinsam mit uns durch bedingungslosen Hass zerstört wurden, werden wir und die Welt gemeinsam mit uns durch bedingungslose Liebe wieder aufgebaut.“

Den Sturm verschlafen

In der Erzählung brachte die Seeflucht Jonas vor seiner Aufgabe das Meer zum Tosen, und das Schiff sank beinahe. Am Höhepunkt des Sturmes ging Jona schlafen, machte sich so von den Unruhen los und ließ die Seefahrer allein mit ihrem Kampf. Langsam begannen sie zu vermuten, dass jemand unter ihnen die Ursache des Sturmes war. Sie warfen das Los, und das Los fiel auf Jona, den einzigen Juden an Bord.

In vielerlei Hinsicht ähnelt die heutige Welt dem Schiff von Jona. Christine Lagarde, geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds sagte es wie folgt: „Wir sitzen alle in einem Boot, befinden uns in einer globalen Gemeinschaft. Unser Glück und unser Unglück steigen und fallen gemeinsam … Wir haben eine kollektive Verantwortung – eine stabilere und glücklichere Welt hervorzubringen; eine Welt, in welcher jeder Mensch in jedem Land sein volles Potenzial verwirklichen kann.“ Dennoch wütet das Meer um uns herum und die Seefahrer, welche die gesamte Menschheit symbolisieren, beschuldigen die Juden an Bord für ihre Schwierigkeiten.

Wie Jona schlafen auch wir tief und fest. Obwohl der Hass uns gegenüber uns allmählich zu wecken beginnt, müssen wir trotzdem erkennen, dass die Meidung der Verwirklichung unserer Aufgabe der Grund für den Hass ist. Wenn wir nicht bald aufwachen, werden die Seefahrer uns über Bord werfen, wie sie es mit Jona machten. Yehuda Ashlag, Autor des Sulam (Leiter)-Kommentars zum Buch Sohar, schrieb in seinem Essay „Arvut“ (Gegenseitige Verantwortung): „Und so hängt es vom israelitischen Volk ab, sich und alle Menschen in der Welt zu befähigen, sich so zu entwickeln, dass sie die erhabene Arbeit, den Mitmenschen zu lieben, auf sich nehmen.“

Der Weckruf

Jona sagt den Seefahrern, dass das Meer sich nur beruhigen wird, wenn sie ihn über Bord werfen. Widerwillig gehorchen die Seefahrer, und so beruhigt sich der Sturm. Ein Wal schluckt Jona hinunter, und drei Tage und drei Nächte hindurch befindet er sich seinem Bauch. Dort hinterfragt er seine Handlungen und Entscheidungen. Er bittet um sein Leben und schwört, seine Aufgabe zu verwirklichen.

Wie Jona trägt jeder von uns etwas in seinem Inneren, das die Welt aufwühlt. Wir, das Volk Israel, sind die Träger einer Methode zur Erreichung des Friedens durch Verbindung. Einheit ist die eigentliche Wurzel unseres Daseins. Diese DNA ist das, was uns zu einem Volk macht, denn erst nachdem wir versprachen, „wie ein Mensch mit einem Herzen“ zu sein und unsere Nächsten wie uns selbst zu lieben, sind wir zu einer Nation erklärt worden. Heute müssen wir dieses Bündnis wiedererwecken, denn egal wo wir hingehen wird diese ungenutzte Kraft die Welt um uns herum destabilisieren. Dies verpflichtet uns dazu, uns zu vereinigen und sie wieder zu entzünden.

Genauso wie die gegenwärtige Trennung unter uns der gesamten Menschheit Trennung bringt, so wird auch die Einheit unter uns die restlichen Völker zur Verbindung anregen. Wenn wir uns vereinigen, wird es die Menschheit mit der Energie ausstatten, die für die weltweite Einheit verlangt wird, in der alle Menschen „wie ein Mensch mit einem Herzen“ leben. Demnach ist es die einzige Frage, ob wir unsere Verantwortung annehmen oder es bevorzugen, über Bord geworfen zu werden, nur um die Aufgabe anschließend doch zu akzeptieren.

Wenn unsere Schwierigkeiten enden sollen, wir vom Antisemitismus befreit werden und ein sicheres und glückliches Leben möchten, dann müssen wir uns vereinigen und so allen Nationen ein Beispiel der Einheit geben. So werden wir die Welt zum Frieden und zur Ruhe bringen. Ansonsten wird der Hass der Nationen uns gegenüber weiterhin wachsen.

Wenn also Menschen so viel Geld für das Privileg, das Buch Jona an Jom Kippur zu lesen, ausgeben, dann äußern sie damit unbeabsichtigt ihre Unterstützung für die Aufgabe des jüdischen Volkes gegenüber der Welt: Ein Licht für die Völker zu sein, indem sie ein Beispiel von Einheit und Verbindung abgeben. Abschließend möchte ich ein weiteres Mal den großen Rav Kook zitieren: „Jegliche Unruhen in der Welt kommen nur für Israel. Jetzt werden wir dazu aufgerufen, diese große Aufgabe willentlich und achtsam auszuführen: Die ganze zerstörte Welt zusammen mit uns wieder zu erbauen“ (Igrot [Briefe]).


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